Aufgrund der ALS - oder anderer Erkrankungen - ist man als "Angehöriger" oft relativ überraschend und unvorbereitet in einer neuen, unbekannten Lage. Man kümmert sich - aus den verschiedensten Gründen - um den Patienten und wird somit auch zum Pfleger. Sicher: man kann nicht der "perfekte pflegende Angehörige" sein, und auch Schulungen und Tips können nur bedingt helfen. Viele dieser Tips tragen aber dazu bei, daß man als Angehöriger doch etwas besser vorbereitet ist.
Die folgenden Tips und Grundlagen für pflegende Angehörige habe ich der Broschüre "Pflegende Angehörige stark machen" der Volkshilfe Steiermark und des Sozialressorts des Landes Steiermark entnommen. Diese Broschüre wurde mir dankenswerterweise von Frau Kahr aus Graz zugeschickt. Manche dieser Hinweise beziehen sich auf Tätigkeiten in der Pflege an sich, wieder andere betreffen auch den psychischen Bereich:
1. "Bedürfnisgerechte und zweckmäßige Gestaltung der Wohnumgebung": Da die Wohnung oder das Haus, in dem man lebt wohl nur äußerst selten im Hinblick auf eine mögliche Erkrankung erstanden wurde, ist es klar, daß die baulichen Gegebenheiten oftmals die Mobilität erschweren. Wichtig ist aber, daß in den Bereichen, in denen sich der Patient aufhält, sämtliche "Stolperfallen", wie z.B. Teppiche, zu glatter Boden, lose liegende Leitungen und ähnlichen, vermieden werden. Das Zimmer der erkrankten Person sollte zweckmäßig gehalten sein (also: auch hier keine "Fallen", Bett möglichst von beiden Seiten zugänglich); trotzdem soll die Möglichkeit gegeben sein, durch vertraute Gegenstände (Photos, Bücher, Pflanzen usw.) das Zimmer freundlich zu gestalten. In vielen Situationen muß man auch improvisieren (so kann z.B. ein Gartensessel in der Duschkabine die Sicherheit erhöhen).
2. "Pflegeheilbehelfe": sind all jene Geräte, die den Alltag von Pflegebedürftigen und Pfleger erleichtern (also Pflegebett, Rollstuhl, WC-Stuhl usw.). Die meisten dieser Geräte werden vollständig von der Krankenkasse ersetzt - allerdings muß man sich rechtzeitig um eine Bewilligung kümmern bzw. bei auftretenden Problemen die Nerven bewahren. Sämtliche Geräte sollten - sofern möglich - spätestens dann vorhanden sein, wenn sie vom Patienten benötigt werden.
3. "Heben, Tragen, Bücken" - diese Tätigkeiten sind im Rahmen der Pflege notwendig, belasten aber die Wirbelsäule und die Bandscheiben der pflegenden Angehörigen. "Rückenschonung" ist hier das wichtigste Stichwort. Also - niemals "aus dem Kreuz heraus heben", das Krankenbett bei der Betreuung immer auf Hüfthöhe hochfahren und notfalls Kurse zur Hauskrankenpflege bzw. zum rückenschonenden Arbeiten belegen! Durch geschultes Personal können Griffe und Techniken erlernt werden, die das Heben und Tragen für Patienten und Angehörigen leichter und vor allem sicherer machen.
Das Rote Kreuz bietet spezielle Kurse für pflegende Angehörige an. Näheres dazu erfahren Sie unter www.roteskreuz.at
4. "Lagerung und Mobilisation": Spezielle Lagerungstechniken können ebenfalls in Kursen für pflegende Angehörige erlernt werden. Wichtig ist hier, daß das Auftreten von Wundliegen/ Dekubitus durch "Druckentlastung" (keine Lagerung, bei der die von Dekubitus bedrohten Körperregionen besonders belastet sind bzw. Entlastung dieser Regionen durch Polster, Anti-Dekubitus-Matten u.ä.) verhindert wird. In der Nacht sollte die Position des Pflegebedürftigen mehrmals gewechselt werden; durch Polster können Arme und Beine gestützt werden. Unter "Mobilisation" versteht man das "Beweglich-Machen" des Patienten: hier können einerseits Arme und Beine durch Bewegung "aufgewärmt" werden, andererseits soll die Mobilität des Patienten im Alltag (z.B. durch Unterstützung und Sicherung beim Gehen) gefördert werden.
5. "Beobachtung": bedeutet natürlich nicht, daß der Pflegebedürftige "observiert" werden soll. es geht hier vielmehr darum, daß man als Angehöriger ein offenes Auge für den Gesamtzustand des Patienten hat. Veränderungen der Hautfarbe, der Beschaffenheit der Haut, der Atmung, des Pulses, der Körpertemperatur können wesentliche Hinweise und Signale sein. Im Zweifelsfall sollte immer der zuständige Arzt kontaktiert werden - lieber einmal zuviel als einmal zuwenig fragen!
6. "Körperpflege": Sämtliche Tätigkeiten der Körperpflege, die nicht mehr vom Pflegebedürftigen ausgeübt werden können, sollen mit Unterstützung durch den pflegenden Angehörigen durchgeführt werden. Auch hier gibt es spezielle Hilfsmittel (z.B. Lifter für die Badewanne), die diese Tätigkeiten erleichtern. Die Körperpflege sollte hier den Bedürfnissen des Patienten angepaßt sein (z.B. wie oft rasiert wird). Auf jeden Fall sollten im Bad entsprechende Sicherheitsvorkehrungen getroffen werden (z.B.: Rutschsicherheit, Haltegriffe usw.). Auch die Kleidung und das Aussehen sollte den Wünschen des Pflegebedürftigen entsprechen (sofern hier nicht ein Gegensatz zur Funktionalität der Pflege entsteht). Wichtig ist es, bei allen alltäglichen Handlungen die Selbständigkeit des Patienten soweit es geht zu fördern.
7. "Beachtung der psychischen Situation des Pflegebedürftigen": Durch die Erkrankung verändert sich viel im Leben des Patienten. Oft sorgen der Verlust früherer Unabhängigkeiten, die Angst vor der Krankheit oder dem Tod und das Leben in der neuen Rolle des Kranken für psychische Probleme, die sich in Depressionen, Isolierung und "Schwierigsein" ausdrücken. Hier ist es wichtig, als Angehöriger Beistand zu leisten, und den Alltag durch Ausflüge, Reisen, Besuche und Erlebnisse jeder Art so positiv wie möglich zu gestalten. Es geht hier nicht um das Verdrängen der Krankheit sondern vielmehr um den gemeinsamen Versuch, aus der Situation das Beste zu machen. So kann die Krankheit akzeptiert werden.
8. "Aufbau einer Pflegebeziehung": Neben oben erwähnten psychischen Problemen ist es oft für Patienten und Angehörige schwierig, die neuen Rollen als "Patient" und "Pfleger" zu akzeptieren. Der Ehepartner, der Vater/ die Mutter oder der Sohn/ die Tochter wird hier zum "Patienten", der Angehörige zum "Pfleger". Die emotionale Beziehung zwischen beiden besteht jedoch weiter, und Konflikte aus der Vergangenheit stehen in einem neuen Licht. Auch hier muß der neue Umstand akzeptiert werden; trotzdem muß allen Beteiligten klar sein, daß der Pflegebedürftige immer noch Vater, Mutter, Kind oder Partner ist - ob mit oder ohne Krankheit. Bei der Pflege muß also einerseits oft gehandelt werden - das Handeln sollte aber nie nur als "Pfleger" geschehen, sondern immer auch als das, was man nach wie vor ist - nämlich ein Angehöriger.
9. "Beachtung der eigenen Situation": Pflegearbeit ist körperliche und seelische Schwerstarbeit. Viele pflegende Angehörige gehen hier oft an die Grenzen ihrer Belastbarkeit. Sie dürfen hier aber nicht vergessen, wie wichtig ihr Einsatz für den Pflegebedürftigen ist - in diesem Sinne müssen Sie auch auf sich schauen! Es ist wichtig, persönliche Freiräume beizubehalten (z.B. in der Form eines Kinobesuches, von Treffen mit Freunden). Beachten sie auch Ihre eigene psychische Situation! Der Besuch von professioneller Hilfe (z.B. durch Psychotherapeuten) ist kein Zeichen von Schwäche, sondern - bedenkt man die Situation der Angehörigen - dringend notwendig.
Insgesamt zeigt sich also, daß die Pflege für beide Seiten - Pflegebedürftigen und Angehörigen - Umstellungen notwendig ist. Die Pflege kann auch nur funktionieren, wenn beide Seiten zusammenarbeiten und jeder auf den anderen - aber auch auf sich - achtet. Durch dieses Gemeinsame kann auch die schwierigste Situation bewältigt werden.