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5.1 Selbstorganisierte Lerngemeinschaft eines FH-Studiengangs
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Dieses
Beispiel beleuchtet eine Lerngemeinschaft, die unmittelbar im Anschluss
an eine Lehrveranstaltung, in der eine Plattform eingesetzt worden war,
entstanden ist. Den circa 60 Studenten eines Fachhochschulstudiengangs
wurde freigestellt, die Plattform in Selbstorganisation weiterzunutzen.
Eine kleine Gruppe rund um eine freiwillige Moderatorin entschied sich
dafür, Verantwortung für die Plattform zu übernehmen. Der Jahrgang
nutzte sie vor allem für die gemeinsame Bewältigung der neuen
Lebenssituation Praktikum, der Diplomarbeit und der Diplomprüfung.
Auch heute noch, über ein Jahr nach Studienende, wird die Plattform für
den gelegentlichen Austausch, vor allem sozialer Natur (Adressentausch,
Organisation von Treffen), genutzt.
Folgende Grafik zeigt die Entwicklung der Anzahl von aktiven Einträgen
auf dieser Collaboration-Plattform über einen Zeitraum von 18 Monaten:
Abbildung 3: Anzahl der Beiträge pro Woche; blau = erzwungene Kommunikation, grün = selbstorganisierte Lerngemeinschaft
Die blaue (hellgraue) Fläche zeigt die Postings, die von den Studenten
im Rahmen eines Blended Learning-Kurses verlangt wurden. Die Studenten
zeigten zwar viel Enthusiasmus, waren aber fremdorganisiert und
posteten nur in Ausnahmefällen mehr Beiträge als vorgeschrieben. Danach
wurde es den Studenten freigestellt, die Plattform für ihr letztes
Studienjahr in Eigenregie weiter zu nutzen. Während der darauf
folgenden Sommerferien kam es zu einem völligen Abbrechen der
Online-Aktivität.
Die grüne (dunkelgraue) Fläche zeigt die von den Studenten selbst
entfaltete Aktivität auf der Plattform mit Beginn des letzten
Studienjahrs. Der erste große Anstieg ist eine Wiederfindungsphase
während des Praktikums, das beinahe jeder an einem anderen Ort
absolvierte. Die letzten beiden Aktivitätsspitzen betreffen die
Diplomprüfung und die abschließenden Feierlichkeiten.
Nach der inhaltlichen Analyse der Plattformaktivitäten läßt sich
feststellen, dass der mit Abstand bedeutendste Anteil der Bewältigung
konkreter praktischer Problemstellungen gewidmet war. Das waren z.B. zu
Beginn der Praktika Diskussionen über die Werkverträge und steuerliche
Konsequenzen, Austausch über schwierige Situationen mit Mitarbeitern,
dann vor allem formelle Fragen in Hinblick auf die Diplomarbeit, gegen
Ende des Studiums die minutenaktuelle Erfassung der Prüfungsfragen in
den Diplomprüfungen.
Dieses Phänomen erfordert ein Umdenken im Hochschulbetrieb, da man
üblicherweise unter Praxisbezug im Lehrbetrieb die Praxis des
angestrebten Berufsfelds vor Augen hat und nicht die Praxis des
Bewältigens der gemeinsamen Lebenssituation.
Reflexion des Beispiels:
Von den vier Dimensionen - Selbstorganisation, gemeinschaftliche
Wissenskonstruktion, gemeinsame Praxis und frei wählbare Zugehörigkeit
- waren alle vier erfüllt. Dies ist interessant im Hinblick auf eine
Beobachtung: Im Folgejahr agierte der zweite Jahrgang in sehr ähnlicher
Weise wie der erste Jahrgang und verwendete bis zum Ende des Studiums
und darüber hinaus die gemeinsame Plattform als Community Plattform.
Der dritte Jahrgang jedoch nutzte die Plattform nicht und baute sich
seine eigene. Dies deutet einerseits auf einen noch höheren Grad der
Selbstorganisation hin und ist positiv zu bewerten. Andererseits ist
es interessant, sich die Hintergründe genau anzusehen und mit Hilfe von
Arnolds Analyserahmen Vermutungen anzustellen, warum der Jahrgang die
von der Institution angebotene Community-Infrastruktur nicht annehmen
wollte.
Wo liegt der Unterschied zwischen den beiden ersten und dem dritten
Jahrgang? Den ersten beiden Jahrgängen waren eigene Plattformen (mit
voller Souveränität der grafischen und inhaltlichen Gestaltung und
Berechtigungsvergabe) zur Verfügung gestellt worden. Auf Grund
organisatorischer Gegebenheiten wurde dem dritten Jahrgang nur ein
eigener Bereich einer inzwischen campusweit etablierten Plattform
übergeben. Dies bedeutete jedoch, dass keine Gestaltung der Seite
vorgenommen werden konnte und es keine Möglichkeit gab, Berechtigungen
so zu vergeben, dass Externe ausgeschlossen werden konnten.
Möglicherweise wurde hier die Dimension der Selbstorganisation zu stark
eingegrenzt, sowie von den Studierenden die freiwählbare Zugehörigkeit
angezweifelt und eine pädagogische Kolonialisierung vermutet.
Ein weiterer Grund könnte sein, dass durch die starke Förderung der
Klassengemeinschaft innerhalb eines Jahrgangs die
jahrgangsübergreifende Vernetzung nicht attraktiv genug erschien.
Eine für den Drucker geeignete Version des Textes finden Sie hier:
Erfolgsbedingungen für virtuelle selbstorganisierte Lerngemeinschaften (PDF, 207 kB)
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