DIE ZEIT

Wissen 06/2002

Glossar zur Stammzellforschung

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von DIE ZEIT

Stammzellen
Stammzellen sind unreife Zellen, deren Entwicklungsschicksal im Körper noch nicht festgelegt ist. Durch Teilung können sie sich selbst beliebig oft vermehren. Wachsen die Stammzellen zu einer dichten Kultur heran, beginnen sie sich zu Zellen unterschiedlicher Gewebe zu entwickeln. Forscher möchten diese Fähigkeit nutzen, um Ersatzgewebe für Schwerkranke zu züchten. Mit Nährstoffen, Wachstumsfaktoren und Genmanipulation sollen die Stammzellen in der Laborschale dazu angeregt werden, bestimmte Gewebetypen zu bilden.

Embryonale Stammzellen (ES-Zellen)
ES-Zellen werden dem Embryo im so genannten Blastozystenstadium entnommen. Die Blastozyste ist eine Hohlkugel, in deren Innerem sich eine Anhäufung von Zellen befindet. Aus dieser sogenannten inneren Zellmasse werden die Stammzellen gewonnen. In diesem Stadium sind sie nicht mehr totipotent, sondern pluripotent, aus ihnen kann kein Lebewesen mehr entstehen. Sie können jedoch noch zu mehr als 200 verschiedenen Gewebetypen heranwachsen. ES-Zellen werden auf drei Wegen gewonnen:

  • Aus überzähligen Embryonen: Hin und wieder werden bei künstlichen Befruchtungen nicht alle Embryonen in die Gebärmutter der Frau implantiert. Sie lagern eingefroren in den Labors. In Deutschland sind anders als in vielen andren Staaten solche Fälle selten, weil hier laut Gesetz keine Embryonen, sondern lediglich so genannte Vorkernstadien eingefroren werden dürfen. Nur in den wenigen Fällen, in denen eine Frau die Fruchtbarkeitsbehandlung überraschend abbrechen muss, sind aus den Vorkernstadien bereits Embryonen entstanden. Fachleute schätzen die Zahl der Fälle auf etwa 30.
  • Aus abgetriebenen Feten: Die Feten müssen zwischen 5 und 9 Wochen alt sein. Ihnen werden Vorläufer von Ei- oder Samenzellen (Keimzellen) entnommen. Diese so genannten embryonalen Keimbahnzellen (EG für engl.: Embryonic Germline Cells) können sich im Labor zu Zellen entwickeln, die sich von ES nicht unterscheiden.
  • Durch therapeutisches Klonen: Dabei wird eine Eizelle wird entkernt und mit dem Erbmaterial einer Körperzelle versehen. Es entsteht eine Zelle, die sich wie ein normaler Embryo bis zum Blastocystenstadium weiterentwickelt. Der Blastocyste werden dann die Stammzellen entnommen. Dieses Verfahren hat für den Spender der Körperzelle den Vorteil, dass die entstehenden Stammzellen genetisch mit seinen Körperzellen nahezu identisch sind. Das im Labor gezüchtete Gewebe wird - so die Theorie - vom Immunsystem des Spenders nicht abgestoßen.

Adulte Stammzellen
Adulte Stammzellen wurden bisher in rund 20 Geweben des erwachsenen menschlichen Körpers und in der Nabelschnur von Neugeborenen gefunden. Adulte Stammzellen können sich im Vergleich zu den ES-Zellen nur begrenzt vermehren und entwickeln. Zudem sind sie sehr schwer aus dem Gewebe zu isolieren. Es mehren sich jedoch die Hinweise, dass etwa blutbildende Stammzellen aus dem Knochenmark nicht nur Blutzellen, sondern auch andere Zelltypen bilden können.

Stammzelllinien
In verschiedenen Labors ist es gelungen, ES-Zellen in Kulturen zu vermehren und zu züchten. Erstmals gelang dies James A. Thomson 1998 in Wisconsin, USA. Momentan gibt es weltweit 72 humane embryonale Stammzelllinien (s. Internet Link NIH-Register). Eine Zelllinie ist dabei aus den Zellen eines einzigen Embryos entstanden. Nicht alle bisher registrierten Stammzelllinien gelten als stabil genug für entsprechende Forschung.

Totipotente Zellen
Totipotente Zellen können zu einem vollständigen Lebewesen heranreifen. Die Zellen eines menschlichen Embryos gelten noch bis zum 8-Zell-Stadium als totipotent.

Pluripotente Zellen
Aus pluripotenten Zellen können zahlreiche Gewebe und Organe entstehen, aber kein ganzes Lebewesen. Es gibt - je nachdem wie streng eine Zelle bereits auf ihr Entwicklungsschicksal festgelegt ist - verschiedene Abstufungen von Pluripotenz. Generell gilt: Je weiter eine Zelle in der Entwicklung vorangeschritten ist, desto weniger Entwicklungswege stehen ihr noch offen.

Embryo
Der Begriff Embryo wird in der gegenwärtigen Debatte sehr uneinheitlich verwendet. In der Medizin versteht man darunter das Stadium zwischen befruchteter Eizelle und dem Abschluss der Organentwicklung im 3. Schwangerschaftsmonat.

Blastozyste
Die Blastocyste ist ein Embryo zwischen dem 4. und 7. Tages der Entwicklung. Die Blastozyste ist eine Hohlkugel. Aus den Zellen der Hülle bilden sich später die Plazenta-Anteile. Aus der Zellmasse im Inneren der Kugel wird sich später das Kind entwickeln. Aus dieser inneren Zellmasse werden auch die ES-Zellen gewonnen. Dabei stirbt der Embryo.

Fetus (auch Foetus und Fötus)
Auch dieser Begriff wird in Deutschland nicht einheitlich verwendet. Juristisch spricht man von einem Fetus nach Einnistung der befruchteten Eizelle in der Gebärmutter. Mediziner sprechen von einem Fetus ab dem 3. Schwangerschaftsmonat, in dem die Organentwicklung des Kindes abgeschlossen ist.

In-vitro-Fertilisation (IVF)
Die In-virto-Fertilisation bezeichnet Befruchtung einer Eizelle, die zuvor dem Körper einer Frau entnommen wurde. Die Eizelle wird im Reagenzglas mit der Samenzelle befruchtet und anschließend in die Gebärmutter der Frau eingesetzt. Bei der künstlichen Befruchtung werden häufig mehrere Eizellen entnommen und befruchtet, um gegebenenfalls mehrere Anläufe für die gewünschte Schwangerschaft nehmen zu können. Von den entstandenen Embryonen wird einer eingepflanzt, die restlichen werden eingefroren und sind gegebenenfalls überzählig. In Deutschland dürfen nur sogenannte Vorkernstadien eingefroren werden, bei denen Ei- und Samenzellen bereits verschmolzen, ihre Zellkerne aber noch nicht vereint sind.

Reproduktives Klonen
Der Körperzelle eines Menschen oder Tieres wird der Kern, der das Erbmaterial enthält, entnommen. Dieses Erbmaterial wird in eine zuvor entkernte Eizelle eingeschleust, ein Embryo entsteht. Dieser Embryo wird anschließend in die Gebärmutter eines Lebewesens eingepflanzt. Klonschaf Dolly durch reproduktives Klonen zur Welt gekommen.

Therapeutisches Klonen
Der Körperzelle eines Menschen oder Tieres wird der Kern, der das Erbmaterial enthält, entnommen. Dieses Erbmaterial wird in eine zuvor entkernte Eizelle eingeschleust, ein Embryo entsteht. Im Gegensatz zum reproduktiven Klonen verbleibt der Embryo in der Petrischale, wo er mit Nährstoffen und Wachstumsfaktoren zur Zellteilung angeregt wird. Im Blastozystenstadium können dann Stammzellen entnommen werden. Durch die Entnahme der Stammzellen wird der Embryo zerstört.

Pränataldiagnostik (PND)
Die Pränatalldiagnostik umfasst verschiedene Untersuchungen eines Kindes im Mutterleib. Dies kann mittels Ultraschall, Chorionzottenbiopsie (Untersuchung von Zellen der Eihaut) oder Amniozentese (Fruchtwasseruntersuchung) geschehen. Das Fruchtwasser enthält Zellen des Kindes. Sie können auf eventuelle genetische Schäden untersucht werden.

Präimplantationsdiagnostik (PID)
Drei Tage nach der künstlichen Befruchtung (IVF) außerhalb des Mutterleibs wird der Embryo auf krankhaft veränderte Gene untersucht. Ziel ist es, anschließend nur gesunde Embryonen in die Gebärmutter einzusetzen. Für die PID wird einem achtzelligen Embryo eine Zelle abgetrennt. Bei der genetischen Analyse wird also eine Zelle zerstört, die noch totipotent ist.